TEMPELHOF

Der Flughafen ist tot, es lebe der Hafen

von Mathis Sommer

Ja, es gibt den Mythos Tempelhof: Symbol der „Germania“-Megalomanie im Dritten Reich und zugleich der legendären Berliner Luftbrücke zu Beginn des Kalten Krieges – und das ist nur der Flughafen!

Abgefertigt wurde zuletzt allerdings nur noch in Richtung Paderborn oder Mönchengladbach; der Name Zentralflughafen galt bestenfalls für seine Lage innerhalb der Stadt. Seit 2008 starten und landen keine Maschinen mehr über die Köpfe der Menschen am S-Bahnsteig hinweg (er befand sich zusammen mit dem benachbarten Güterbahnhof genau in der Einflugschneise), die Signalleuchten auf den Dächern der Häuser in Neukölln sind erloschen. Zurück bleiben eines der größten Gebäude der Welt, eine riesige Freifläche im Herzen der Stadt und die Möglichkeit, über den Flugverkehr hinaus zu blicken.

Der Name Tempelhof geht vermutlich auf eine Hofgründung der Tempelritter im 12. Jahrhundert zurück; Kirche und Ursprung des wilden Straßendorfes befinden sich gegenüber dem Rathaus an der Parkstraße. Der vom Höhenzug des Flughafens Richtung Süden abfallende lebendige Tempelhofer Damm weist den Weg zum Ortskern, wobei die linsenförmige Kreuzung mit der Straße Alt-Tempelhof eben keinen alten Dorfanger darstellt (an der Stelle der Kirche findet sich denn auch eine Dönerbude). Im 19. Jahrhundert rückte die Stadt Berlin von Norden immer näher an die Gemeinde Tempelhof heran, der Tempelhofer Berg wurde zum Kreuzberg und das Tempelhofer Feld zunächst ein Parade- und Exerzierplatz preußischer Truppen. Durch die Ringbahn ab 1872 hervorragend angebunden, etablierte sich das Gelände – neben der militärischen Nutzung unter der Woche – schnell als Ort der großstädtischen Naherholung und Freizeitgestaltung an Wochenenden.

Vor allem der Sport erlangte um die Jahrhundertwende große Bedeutung; Kricket, Tennis, Fußball, Pferde- und Radrennen fanden auf dem Areal statt, das zunehmend von Siedlungsflächen – teilweise an Konzepten der Gartenstadt orientiert und sehr sehenswert – eingeschnürt wurde. Als ältester noch bestehender Fußballverein Deutschlands und erster (inoffizieller) Meister bezeichnet sich der Berliner Fußball-Club Germania 1888, der sich hier konstituierte und heute unweit auf dem Sportplatz Götzstraße in der Kreisliga A spielt. Unter den Nationalsozialisten erlangte der Verein traurige Berühmtheit, da er als einer der ersten seine jüdischen Mitglieder ausschloss – heute engagiert er sich auf seiner Webseite „gegen Rechts“.
Anfangs rollten die ersten experimentellen Flugmaschinen und das runde Leder noch parallel über das Tempelhofer Feld, mit der Gründung der Berliner Flughafengesellschaft und dem Bau der ersten Baracken des späteren Zentralflughafens wurden die vielfältigen übrigen Nutzungen ab 1924 jedoch langsam verdrängt. Die von der Ringbahn aus gut ersichtlichen Ausmaße des Areals inspirierten wohl damals wie heute gleichermaßen seine mögliche Nutzung.

Durch den Bau des Teltowkanals 1906 entwickelte sich auch der Süden Tempelhofs prächtig. Industrieansiedlungen machten den damaligen Landkreis Teltow zu einem der wohlhabendsten im Reich, und nicht von ungefähr leistete er seiner Eingemeindung nach Groß-Berlin 1920 erbittert Widerstand. Aus diesem Disput rührt heute noch ein anteiliger Immobilienbesitz der südlichen brandenburgischen Landkreise in der Hauptstadt, das so genannte „Teltow-Vermögen“. Den Weg zum dazu gehörigen Tempelhofer Hafen weist der weithin sichtbare Uhrenturm des mächtigen Ullsteinhauses, bis 1927 nach Plänen von Eugen Schmohl für den Ullsteinverlag errichtet und nicht das einzige Beispiel des Backsteinexpressionismus in dieser Gegend.

Während der ‚älteste Verkehrsflughafen der Welt’ noch einer konstruktiven Nachnutzung harrt, ist in das denkmalgeschützte Lagergebäude des Hafens bereits ein Einkaufszentrum eingezogen (Gastronomie und Entertainment sollen gemäß dem üblichen ‚urban waterfront development’ folgen). Der noch ältere Ringbahnhof liegt etwa auf halber Strecke, und egal, was auf den 380 Hektar des ehemaligen Flugfeldes passieren wird (die Diskussion wurde unlängst pointiert durch den Architektenentwurf „The Berg“ ): der Mythos Tempelhof lebt ...

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